Suizidprävention - Empfehlungen für Hausärzte (von Mirjana Vasiljevic)
Aus der internationalen Forschung geht hervor, dass vor einer Suizidhandlung oft noch ein Arztbesuch erfolgte. Das Erkennen und Beurteilen des Suizidrisikos ist somit die Voraussetzung einer möglichen Verhütung des Suizids, gefolgt von der Aufdeckung der Gründe (Konfliktsituation, Depression, Suchtproblem etc.).
Darüber hinaus ist es hilfreich, wenn der Arzt eine Vorstellung suizidaler Gemütszustände (wie u.a. Gefühl der Minderwertigkeit und Hoffnungslosigkeit) hat, da Patienten bei ärztlichen Konsultationen selten spontan über Suizidgedanken sprechen.
Es gibt kaum eine bessere Möglichkeit zur Beurteilung der Suizidalität als ein Gespräch mit dem betroffenen Menschen. Der ausschließliche Einsatz von Fragebögen bzw. Risikolisten verbietet sich in einer solchen Situation, da diese im Einzelfall einer großen Irrtumswahrscheinlichkeit unterliegen können. Man kann sie jedoch als Ergänzung zu einem persönlichen Gesprächskontakt benutzen, da sie zur Sensibilisierung für wichtige Aspekte dienen können.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt folgendes Vorgehen für Hausärzte bei Verdacht auf Suizidgefahr:
Vorsichtiges Ansprechen des Patienten auf Suizidgedanken
- Fühlen Sie sich unglücklich und allein?
- Fühlen Sie sich hoffnungslos?
- Haben Sie das Gefühl Ihren Alltag nicht mehr meistern zu können?
- Empfinden Sie Ihr Dasein nur noch als Last?
- Denken sie, daβ das Leben nicht lebenswert ist?
- Haben Sie den Wunsch sich das Leben zu nehmen?
Der Zeitpunkt des Ansprechens auf mögliche Suizidgedanken spielt eine wichtige Rolle. Dies sollte erst geschehen, wenn:
- eine Arzt-Patienten-Beziehung besteht
- der Patient bereit ist über seine Gefühle zu sprechen
- der Punkt erreicht ist, an dem der Patient seine negativen Gefühle und Gedanken äußern kann
Selbstverständlich sollte man es nicht nur bei der Bestätigung der Suizidgedanken belassen, sondern durch weitere Befragung die Ernsthaftigkeit sowie die Möglichkeit der Ausführung dieser Suizidgedanken bzw. -szenarien ermitteln:
- Haben Sie bereits einen Plan, um Ihrem Leben ein Ende zu setzen?
- Wie sieht dieser aus? Wie würden Sie es tun?
- Sind Sie in Besitz von Medikamenten oder Feuerwaffen?
- Haben Sie schon einen Zeitpunkt für Ihre Tat ausgesucht?
Zu beachten ist hierbei, dass die Befragung ohne Druck und starkes Beharren seitens des Arztes verläuft. Der Patient sollte sich verstanden und respektiert fühlen.
Für die Einschätzung des aktuellen Gefährdungsgrades ist es weiterhin von großer Bedeutung, neben den suizidfördernden auch potentiell protektive Faktoren, persönliche Ressourcen und andere hilfreiche Umstände anzusprechen.
Laut WHO liegen 3 Hauptsymptome vor, auf die der Arzt näher eingehen könnte:
Ambivalenz
Ein Großteil der suizidalen Patienten verbleibt bis zum Ende der Krise im Zwiespalt: Wunsch zu sterben vs. Wunsch zu leben. Wenn der Arzt nun das Gespräch mehr in die Richtung Wunsch zu leben lenkt, kann dies zur Reduktion des Suizidrisikos führen.
Impulsivität
Die Suizidhandlung ist oft eine Kurzschlusshandlung, bei welcher der Impuls zum Suizid nur vorübergehend anhält. Eine Hilfestellung zum Zeitpunkt der Impulsivität kann demzufolge die aktuelle Krise entschärfen.
Rigidität
Die Einstellung, die Laune sowie die Handlung suizidaler Patienten sind oft von einer Starrheit geprägt. Deshalb kann es hilfreich sein, wenn der Arzt im Gespräch alle Alternativen zum Suizid freilegt und langsam aber sicher dem Patienten zu verstehen gibt, dass es sehr wohl andere Lösungen als den Tod gibt. Auch wenn diese nicht immer ideal sein können.
ACHTUNG!
Das plötzliche Verschwinden von Verzweiflung und Unruhe bei einem suizidalen Patienten kann auf den definitiven Entschluss zum Suizid hinweisen. Es ist daher notwendig nachzufragen, warum der Betroffene keine Suizidgedanken mehr empfindet. Die zum Selbstmord entschlossene Person wird mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu keiner befriedigenden Antwort fähig sein.
Empfehlungen zur Übergabe an eine therapeutische Einrichtung:
Hier stellen sich zwei Fragen:
Wann?
- bei Feststellung einer psychischen Störung
- bei Vorhandensein früherer Suizidversuche
- bei Feststellung von Suchterkrankungen
- bei somatischen Krankheiten
- bei Fehlen sozialer Unterstützung
Wie?
- Dem Patienten erklären aus welchen Gründen die Übergabe notwendig ist
- Deutlich machen, dass eine medikamentöse Behandlung in Kombination mit einer Psychotherapie wirksamer ist
- Dem Patienten versichern, dass die Übergabe nicht stattfindet, weil man ihn loswerden möchte
- Den Termin mit dem betreffenden Psychiater vereinbaren
- Dem Patienten einen Termin nach dem Besuch der Einrichtung anbieten
Quelle: Organisation Mondiale de la Santé (2001). La prévention du suicide. Indication pour les médecins généralistes. Genève